Freitag, 25. November 2011

Durch die "Drehtür" zum Abitur?

Wiehl/Oberberg. Dass die Zahl der Schulwechsler im vergangenen Jahr anstieg, hatte auch andere Gründe als die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre (kurz: G8). Manchmal häuft sich eben die Zahl derer, die auf Gesamt- oder Realschule besser aufgehoben sind, weil ihre Eignung erst nachträglich erkannt wird. Trotzdem war es ein Weckruf für das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium. Vizeschuleiter Frank Mistler sagt: „Wir mussten gegensteuern.“
Heute ist das Gymnasium wieder auf dem normalen Level von acht Schülern, die in der Sekundarstufe I die Schule verlassen (müssen). Ein Erfolg eines ausgeklügelten Förderprogramms, mit dem das DBG auf den individuellen Bedarf der Schüler eingeht und das man früher eher mit einer Gesamtschule assoziiert hätte. Immerhin 38 Wochenstunden wurden dafür zusätzlich aufgewendet, das entspricht der Arbeitsleistung von anderthalb Lehrer-Vollzeitstellen. Das Bonhoeffer-Gymnasium ist bekannt für seine Begabtenförderung und hat dafür im vergangenen Jahr auch einen NRW-Schulpreis bekommen. Im kommenden Jahr steht als neuestes Projekt die so genannte Profilbildung an, die den Schülern erlaubt, eine besondere Eignung und Neigung in Sport, im Sozialbereich oder in der Naturwissenschaft zu trainieren.
Doch nicht alle der 1200 Schüler des Bonhoeffer-Gymnasiums können kommende Nobelpreisträger sein. Die Verkürzung der Schulzeit und die Verdichtung des Lehrplans erlauben es den Gymnasien nicht mehr, die Latte hochzulegen und alle Schüler, die es nicht darüber schaffen, einfach weiterzureichen. Diesen wird in Wiehl nun eine „Drehtür“ geöffnet. Dieses Prinzip wurde vor sieben Jahren eigentlich für die Begabten eingeführt. Das Modell sieht vor, dass ein Schüler dem Unterricht zu bestimmten Zeiten fernbleibt, um sich einem Spezialfach zu widmen, sei es in einer höheren Klasse oder auf eigene Faust im Selbstlernzentrum. Nun steht die Drehtür auch den schwachen Schülern offen. Sie verlassen den regulären Unterricht, um in Kleingruppen mit Hilfe von Fachlehrern den Stoff nachzuarbeiten. Ein weiteres Angebot ist die Lernberatung, bei der Lehrer zu festgelegten Nachmittagsstunden für Fragen zum Unterricht und den Hausaufgaben zur Verfügung stehen.
Die anderen oberbergischen Gymnasien haben mit ähnlichen Förderprogrammen auf die Herausforderung der G8-Schulzeitverkürzung reagiert. Aus dem Waldbröler Hollenberg-Gymnasium berichtet Schulleiter Ulrich Noß von einer „doppelten Anstrengung von Lehrern und Schülern“. Lehrer, die in der Abiturphase weniger Unterrichtsverpflichtungen hatten, wurden zur Förderung der gefährdeten Schüler abgeordnet. Zum aktuellen Maßnahmenkatalog am Wüllenweber-Gymnasium in Bergneustadt gehören Lehrmodule, in denen Schülern der sechsten Klasse der Umgang mit Lernstress beigebracht wird. Vielen von diesen wird es ungemütlich, weil in diesem Jahrgang bereits die zweite Fremdsprache eingeführt wird, erläutert Schulleiter Dr. Jörg Barke. Die Schulzeitverkürzung, die gern als „Turboabitur“ dramatisiert wird, sorgt jedenfalls in Gymnasien mit einer Gesamtschule in unmittelbarer Nachbarschaft für eine noch schärfere Vorauslese. Der Waldbröler Schulleiter Noß zumindest sagt: „Die Eltern überlegen hier seit G8 ganz genau, ob sie eine Schullaufbahn auf dem Gymnasium riskieren.“