Mittwoch, 2. Januar 2013

Das erste Jahr ohne tote deutsche Soldaten

So unblutig ist der Afghanistan-Einsatz für die Bundeswehr seit dem Beginn vor elf Jahren nicht gewesen: Im abgelaufenen Jahr hat Deutschland am Hindukusch erstmals keinen Toten zu betrauern gehabt. Die Truppe hatte Glück, denn Aufständische verübten auch 2012 Angriffe auf deutsche und internationale Soldaten und auf einheimische Sicherheitskräfte in Nordafghanistan. Allerdings hat sich nach Einschätzung der Bundeswehr die Sicherheitslage in ihrem Einsatzgebiet auch tatsächlich deutlich verbessert.

Bislang kostete das Engagement am Hindukusch 52 deutsche Soldaten das Leben, 34 von ihnen starben bei Angriffen und Anschlägen. Der letzte tödliche Sprengstoffanschlag auf die Truppe liegt an diesem Mittwoch genau 19 Monate zurück, damals wurde ein Soldat getötet.
Insgesamt fielen 2011 sieben Deutsche. Im Jahr zuvor starben neun, drei davon am Karfreitag 2010, als die Taliban die Bundeswehr in das bislang schwerste Gefecht ihrer Geschichte verwickelten. Nun spricht der Kommandeur der Internationalen Schutztruppe Isaf in Nordafghanistan, Bundeswehr-General Erich Pfeffer, von einer "Trendwende" bei der Sicherheitslage.
Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus, verwendet dieselbe Formulierung. Königshaus sieht einen Grund für die positive Entwicklung in der verbesserten Ausrüstung. Die Soldaten, so sagt er, müssten anders als früher nicht mehr "mit offenen Campingwagen durchs Gebirge" fahren, sondern seien in geschützten Fahrzeugen unterwegs. Pfeffer führt die verbesserte Sicherheitslage maßgeblich auf die afghanischen Sicherheitskräfte zurück, deren Leistung sich deutlich gesteigert habe und die bei den meisten Operationen im Norden des Landes inzwischen federführend seien.
Allerdings zahlen afghanische Armee und Polizei für ihr wachsendes Engagement einen hohen Blutzoll: Landesweit wurden im abgelaufenen Jahr mehr als 1000 Soldaten bei Angriffen und Anschlägen der Aufständischen getötet. Noch schwerere Verluste erleidet die afghanische Polizei: Im Durchschnitt hat sie 200 Tote zu beklagen - und zwar pro Monat.
Während die Opferzahlen der Afghanen steigen, sinken die der Nato-geführten Isaf. Etwa 400 ausländische Soldaten kostete der Einsatz im abgelaufenen Jahr das Leben, weniger waren es zuletzt im Jahre 2008. Der Trend dürfte sich fortsetzen, je mehr Verantwortung die einheimischen Sicherheitskräfte von der Schutztruppe übernehmen. Bis Ende 2014 soll der mehrstufige Prozess abgeschlossen sein - dann soll der Isaf-Einsatz enden.
Aschraf Ghani, der Beauftragte von Präsident Hamid Karsai für den Abzug, sagte am Silvestertag: "Die Isaf war im Kampf an vorderster Front, und die afghanischen Sicherheitskräfte waren im Hintergrund. Heute verschiebt sich das dahin, dass die afghanischen Sicherheitskräfte in den Vordergrund kommen und die Isaf eine Unterstützerrolle annimmt."
Nicht enden wird allerdings das internationale militärische Engagement am Hindukusch: Der Isaf soll nämlich eine weitere Nato-Mission nachfolgen. Dass dennoch immer wieder vom Abzug der internationalen Truppen gesprochen wird, ist zumindest missverständlich.
Im jüngsten Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Ende November heißt es zwar: "Auch nach 2014 sollen internationale Soldaten in Afghanistan stationiert werden." An anderer Stelle ist dann aber doch wieder vom "Abzug der Truppen bis Ende 2014" die Rede. Dabei sollen - die Zustimmung des Bundestags vorausgesetzt - auch deutsche Soldaten ab 2015 noch in Afghanistan sein.
Noch ist nicht beschlossen, wie viele Soldaten die Bundeswehr dann stellt. Die oft kolportierte Zahl von 1000 erscheint aber zumindest dem Wehrbeauftragten Königshaus, "nicht zu groß". Der Schwerpunkt der Mission soll auf der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte liegen.
Doch auch die Ausbilder werden geschützt werden müssen und zwar von kampfbereiten Soldaten - auch deshalb führt die viel beschworene Formulierung vom "Abzug der Kampftruppen" 2014 in die Irre. Auf jeden Ausbilder, so die Rechnung der Bundeswehr, werden voraussichtlich sieben "Unterstützer" kommen. Königshaus kann sich auch vorstellen, dass die im Dezember nach Afghanistan gebrachten Kampfhubschrauber vom Typ "Tiger" über 2014 hinaus in Afghanistan bleiben.
Dass der offizielle Kampfauftrag 2015 entfällt, wird die Soldaten aber nicht vor Angriffen der Taliban oder vor den inzwischen verbreiteten Attentaten durch afghanische Sicherheitskräfte schützen. Möglicherweise werden also auch nach 2014 noch deutsche Gefallene in Afghanistan zu beklagen sein.
Denn schließlich, so sagt General Pfeffer: "Beim Einsatz von Streitkräften können Sie das Risiko von Tod und Verwundung nie ausschließen." (dpa)