Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie sich ehemalige Lehrerinnen über ihre eigene Zunft erheben, wenn sie mit dem Erklimmen der politischen Karriereleiter die schulische Realität hinter sich gelassen haben. Eine Abkehr vom Frontalunterricht sei nötig. Kann Bildungsministerin Löhrmann sich wirklich an eine nennenswerte Zahl von ehemaligen Kollegen erinnern, die im dozierenden Frontalunterricht ihre Schüler verdorben hätten? Ist es nicht vielmehr so, dass Gruppenarbeit und selbstentdeckendes Lernen seit langem (und manchmal schon bis zum unsinnigen Exzess) Maßgabe jeder Lehrerausbildung und gängige Praxis im Schulalltag sind? Unterricht sei gut, wenn die Schüler sich mehr eigenständig erarbeiten. - Hat Frau Löhrmann schon die praktische Erfahrung vergessen, dass eigenständiges Lernen vor allem Zeit braucht, Zeit, die mit G8 genommen wird? Nimmt sie nicht wahr, dass der Nachhilfemarkt in ungekannter Blüte steht, weil er anbietet, wofür sich Schule vor lauter Kreativitätsförderung zu schade ist: Das verpönte aber eben leider auch notwendige Pauken und schlichte Einüben von Fertigkeiten? Schulen könnten G8 und G9 parallel anbieten. - Weiß Frau Löhrmann, was sie Schulen personell, finanziell und bürokratisch aufbürdet, wenn sie Eltern und Schülern dies in Aussicht stellt, und mit Rückkehr zu deren Zwei-Drittel-Mehrheit in den Schulkonferenzen die Durchsetzung laienhaften Wunschdenkens befördert?
Schule wird von wechselnden Politikern mit wechselnden Ideologien von einer "Reform" durch die nächste gejagt. Jeder redet mit - außer den eigentlichen Fachleuten, den Lehrern. Sie baden mit ihren zumeist immer noch über 30 Schülern pro Klasse seit Jahrzehnten die Reformen der Reformen aus, und jetzt wird ihnen mit dem billigen Ruf nach besserer Lehrerausbildung indirekt wieder einmal die Schuld für fortgesetzten politischen Murks in die Schuhe geschoben. Mag sein, dass man Lehrer besser ausbilden könnte. Aber wer bildet eigentlich Politiker aus?
Irmgard Kreye