MAINZ. Wenn Alessia (13 Monate) und Joel (elf Monate) im
Zwillings-Buggy durch die Flure des Seniorenheims in Nieder-Olm bei
Mainz gefahren werden, ernten sie viele verzückte Blicke - und manche
Streicheleinheit. Dabei sind die Kinder ziemlich oft hier: Als ihre
Mütter, die beide im Haus arbeiten, im vergangenen Jahr in den
Mutterschutz gingen, entschloss sich das Management zu einer
ungewöhnlichen Maßnahme: Um nicht bis zu drei Jahre lang auf die
Kolleginnen verzichten zu müssen, werden in der Seniorenresidenz seit
zwei Monaten nicht nur alte Menschen, sondern eben auch Alessia und Joel
betreut.
"Ich wollte Joel ungern mit zehn Monaten in eine
Krippe abgeben", sagt Joels Mutter, Pflegedienstleiterin Murielle
Krischer. Das Angebot ihres Arbeitgebers, den Jungen einfach
mitzubringen, fand sie jedoch so attraktiv, dass sie zusagte. Die
Betreuung ist für die beiden Mitarbeiterinnen kostenlos, im Gegenzug
verzichteten beide aber vorerst auf eine Gehaltserhöhung. Krischer
hofft, dass sich die Initiative herumspricht und das Heim für andere
Pflegekräfte interessant macht, denn offene Stellen gibt es in
Nieder-Olm eigentlich immer.
Zwei Räume im Trakt für Betreutes Wohnen hat die
Heimleitung hergerichtet, ein Spielzimmer und eine "Schlummer-Stubb" mit
zwei Bettchen. Jetzt wird diskutiert, wo auf dem Gelände der
Alteneinrichtung eine Schaukel für die Kleinen aufgebaut wird. Weil die
beiden Mütter stets in Rufbereitschaft sind, ist für die Versorgung der
Kinder durch eine Betreuerin keine behördliche Genehmigung erforderlich.
Die gemeinnützige Gesellschaft für ambulante und stationäre Altenhilfe
(GFA), der Träger des Heims, plant mittlerweile, ein ähnliches Angebot
auch auf andere Einrichtungen auszuweiten.
Auch manche Senioren genießen es, dass die Kinder
Abwechslung in den Alltag bringen. "Man sieht richtig das Glänzen in den
Augen der alten Leute", berichtet Jessica Deutrich, die für die
Kinderbetreuung im Seniorenheim zuständig ist. Rüstige Bewohnerinnen
schauen regelmäßig zum Spielen bei ihr und den Kindern vorbei oder
nehmen alle drei gleich mit in ihre Wohnungen. "Ich sitze mit ihnen auf
dem Teppich, fahre sie im Wagen spazieren, und gestern haben wir eine
ganze Stunde auf der Terrasse gespielt", erzählt Ruth Leymann, die in
der Seniorenresidenz eine kleine Wohnung hat.
Bislang sind die Kleinkinder im Nieder-Olmer
Altenheim ein bundesweit ziemlich einmaliger Fall. In der
Landeshauptstadt Mainz stößt das Projekt aber bereits auf großes
Interesse: "Die Landesregierung begrüßt mit Freude die Bestrebungen von
Arbeitgebern, für berufstätige Eltern bedarfsgerechte
Kinderbetreuungsangebote zu entwickeln, und ist offen für innovative
Ideen", teilte das Familienministerium auf Anfrage mit. Seit Juni 2012
fördert auch der Bund Projekte zur Kindertagespflege in Unternehmen,
durch die zusätzliche Betreuungsplätze für unter Dreijährige entstehen
sollen.
Weil es immer schwieriger wird, Fachpersonal für die
Altenpflege anzuwerben, machen sich Träger von Heimen und Pflegediensten
Gedanken, wie sie für Beschäftigte attraktiver werden könnten. Die
hessen-nassauische Diakonie etwa hat ein Familienbudget für ihre
Mitarbeiter aufgelegt, das Kosten für die Kinderbetreuung übernimmt.
Betriebs-Tagesmütter oder Kinderkrippen lösen jedoch nicht automatisch
die Fachkräfteprobleme der Altenpflege. Ein Heim im hessischen Hünfeld,
das ebenfalls mit der Betreuung von Mitarbeiterkindern experimentierte,
hat das Angebot inzwischen wieder eingestellt - wegen mangelnder
Nachfrage. In Nieder-Olm könnten Alessia und Joel in ihrem Spielzimmer
hingegen bald Gesellschaft bekommen. "Wir haben zwei Schwestern, die im
Oktober ihre Kinder kriegen", erzählt Murielle Krischer.